ÜBERLEBEN – EINE KRAFT
Alkoholismus ist eine Krankheit, die eine ganze Familie betreffen kann – vor allem auch die Kinder. Die Journalistin und Autorin Gabriele Kuhn (60) erzählt, wie es ist, mit abhängigen Eltern aufzuwachsen und trotzdem ein gutes Leben „danach" zu gestalten
Geblieben ist die Anspannung. Eine latent-subtile Form psychophysischer Spannung, oft nicht spürbar und trotzdem immer da. Sie sitzt zentral, nur ein kleines Stück oberhalb des Nabels, dort, wo sich der Solarplexus befindet. Wenn etwas nicht stimmt und bedrohlich auf mich wirkt, wenn ich etwas nicht sofort einordnen oder erklären kann, springt dieses System an. Wie ein Seismograf, der auf ein nahendes Beben reagiert. Ein schiefer Blick, eine unpassende Reaktion, eine vage Bedrohung – das alles reicht bereits, damit ich mich aufgewühlt und vorahnend fühle. Die Anspannung wird stärker, breitet sich aus, von der Mitte des Bauchs zu den Muskeln, zum Kiefer, in die Augen. Mein Atem wird flacher, manchmal halte ich ihn an, der Herzschlag beschleunigt sich leicht. Längst weiß ich um die Ursachen dieses Geschehens und habe gelernt, gegenzusteuern. Ebenso habe ich gelernt, meine hauseigene Alarmanlage als das gewisse Etwas zu schätzen, als „mein Juwel". Ich betrachte sie als Teil von mir, als Stärke und Spür-Sinn. Viele Jahre meines Lebens empfand ich sie allerdings – weil ursächlich noch nicht ergründet - als Belastung, fühlte mich falsch. Gleichzeitig sehnte ich mich nach einer Leichtigkeit, die mir bereits früh genommen wurde.
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